Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit wird heiß diskutiert: Das Land steht beim Wirtschaftswachstum in Europa auf den Abstiegsrängen, die Bevölkerung altert und während Amerika Investitionen anlockt, sorgen sich Unternehmen hierzulande über die vergleichsweise hohen Energiepreise. Ei­ne neue Analyse lenkt den Blick nun auf eine weiteres Feld, auf dem Deutschland schlecht dasteht: Viel größere Sorge als die Energiepreise sollte „die Tatsache bereiten, dass Deutschland bereits seit Jahren von seiner Substanz lebt“, heißt es in einer Untersuchung, die Volkswirte des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) durchgeführt haben. Ihr Fazit: „Im Vergleich mit vielen anderen entwickelten Volkswirtschaften hat Deutschlands Kapitalstock in den vergangenen knapp 20 Jahren erheblich an Qualität eingebüßt.“

Johannes Pennekamp

Verantwortlicher Redakteur für Wirtschaftsberichterstattung.

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Zum Kapitalstock eines Landes zählen Fabrikgebäude, Maschinen, Straßen und Schulen aber auch geistiges Eigentum aus dem Bereich Forschung und Entwicklung, Software und Datenbanken. Dieser Kapitalstock bildet mit den Ar­beitskräften die Grundlage dafür, wie sich eine Volkswirtschaft entwickeln kann. „Veraltet all dies, drohen Nachteile im in­ternationalen Konkurrenzkampf“, heißt es in der Analyse, die der F.A.Z. vorab vorliegt. Je moderner der Kapitalstock, desto höher sei die Wertschöpfung je Beschäftigtem.

Um herauszufinden, ob das in Deutschland der Fall ist, haben die Autoren zwei Größen ins Verhältnis gesetzt: den Bruttokapitalstock, der alle Güter mit ihrem Neuwert umfasst, sowie den Nettokapitalstock, bei dem die Abschreibungen abgezogen werden. An diesem Verhältnis könne ermittelt werden, wie gut Fabriken und Infrastruktur von Unternehmen und vom Staat in Stand gehalten werden: Je kleiner der Nettowert im Vergleich zum Bruttowert sei, desto veralteter der Kapitalstock.

Kanada ist enteilt

Das Ergebnis ist für Deutschland we­nig schmeichelhaft. „Wie vielerorts ging der Modernitätsgrad des Kapitalstocks zurück – hierzulande aber mit zwölf Punkten am deutlichsten“, schreiben die Pharma-Ökonomen Claus Michelsen und Simon Junker, die beide zuvor am DIW Berlin geforscht haben. Zwar sei es nachvollziehbar, dass der Kapitalstock im In­land etwas veraltet, da viele Direktinvestitionen nach China und in andere asiatische Länder fließen. Die Entwicklung in Deutschland sei allerdings besorgniserregend. Frankreich, Großbritannien und die Niederlande stehen deutlich besser da als Deutschland, Kanada ist enteilt (siehe Grafik).

Dass es in Deutschland stärker bröckelt als anderswo, hat eine Hauptursache: „Vor allen Dingen der öffentliche Kapitalstock wurde über Jahre vernachlässigt“, schreiben die Autoren. Offensichtlich werde das am Zustand von Schulen, Brücken oder der Bahninfrastruktur. Dieser Befund deckt sich mit einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Jahr 2019, in der die schwache Finanzlage vieler Kommunen als Hauptursache identifiziert wurde.

Ein gemischtes Bild zeigt sich in der Industrie. Verglichen mit dem Jahr 1991 konnten nur wenige Branchen den Modernitätsgrad des Kapitalstocks halten oder gar ausbauen, so die Autoren. Während es in Schlüsselbranchen wie der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und der Pharmabranche immerhin gelinge, das geistige Kapital zu stärken, sei der Sub­stanzverlust in anderen Branchen deutlich erkennbar. Die Chemie- und EDV-Branche stehen bei der Entwicklung des geistigen Kapitals demnach am Ende.

Um einen Modernisierungsschub auszulösen, sprechen sich die Ökonomen des Pharmaverbandes dafür aus, besonders attraktive Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen und die steuerliche Forschungsförderung zu stärken. Vom Staat wünschen sie sich, die Digitalisierung und die Energiewende vo­ranzutreiben: „Ohne diese öffentlichen Vorleistungen werden private In­vestitionen selten.“